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Schüler leiten Zivilprozess

Ein Workshop vermittelt den Schülern, wie der Rechtsstaat funktioniert

Offenbach - Richter und An­wälte, die keine Erfahrung oder abgeschlossene Ausbil­dung haben, sitzen im Saal 103 des Amtsgerichts und lei­ten einen Zivilprozess. „Im Gegensatz zu dem, was man im Fernsehen sieht, ist eine echte Gerichtsverhandlung menschlicher“, wundert sich Marie. Die anderen Schüler stimmen ihr zu, drei Tage lang konnten sie das Gericht hautnah miterleben.
 

Das Amtsgericht machte dies mit dem Projekt „Rechts­staathautnah - Wie wird Hate Speech bestraft?“ möglich. Je vier Schüler der neunten Klassen von IGS Lindenfeld, Edith-Stein-, Marien- und Marianne-Frostig-Schule nah­men am dreitägigen Work­shop teil. Nachdem sie am ersten Tag Definition und Beispiele für Hate Speech he­rausarbeiteten, schauten sie am zweiten Tag einem ech­ten Strafprozess zu.
 

Ziel war, Jugendliche zu er­reichen und ihnen die Bedeu­tung des Rechtsstaats näher zu bringen. „Es ist wichtig, dass Schüler ein Gefühl dafür entwickeln, was der Rechts­staat ist“, erläutert Petra Schott-Pfeifer, Vizepräsiden­tin des Amtsgerichts. Geför­dert wird das Projekt vom Ju­gendamt und der Stadt. Die Beteiligten hoffen, die Jugend für die Justiz und Praktika bei Gericht zu begeistern. Zum Abschluss spielen die Schüler einen Prozess nach. Richter Christoph Eckert bringt ei­nen Fall mit, bei dem Schüler in Rollen schlüpfen und ei­nen Zivilprozess nachstellen.
 

Das Rollenspiel handelt von einem Streit zwischen dem Norweger Harket und dem Isländer Johanson. Der Norweger unterstellt seinem Nachbarn, er habe ihn be­klaut. Beweise hat er nicht, er begründet seinen Verdacht mit einem Vorurteil: Isländer seien nun mal Diebe und Ver­brecher. Dagegen klagt der Beschuldigte mit drei Anträ­gen. Dies wird vom Nachbarn zurückgewiesen, die Parteien ziehen mit Zeugen und An­wälten vor Gericht.
 

Wer vertritt die Anklage und wer die Verteidigung?
 

Welche Rolle sie einneh­men, bestimmen die Schüler selbst. Ebubekir entscheidet sich für den Kläger Johanson, vertreten durch die Anwälte Devin und Hendrik. Clara und Marie vertreten Harket,  gespielt von Daris. Eckert teilt Vorgaben und Beweise aus, die Schüler nehmen ihre Rollen ein. Kreativ und sehr souverän stellen sie einen un­terhaltsamen Zivilprozess auf die Beine.
 

Das Thema Hate Speech greifen beide Parteien mehr­fach auf. Für die Partei Johan­son wiegt der Vorwurf, Islän­der seien Diebe und Verbre­cher, schwer. Die Anwältinnen der Gegenpartei begrün­den das Verhalten ihres Man­daten damit, dass er eine ge­wisse Angriffsfläche gesucht habe, um seinen Nachbarn zu verletzen. Dann halten die Anwälte ihr Plädoyer. Harket soll seine Vorwürfe unterlas­sen, da es sich um üble Nach­rede ohne Beweise handle und Kriminalität mit Natio­nalität begründet werde. Der Angeklagte zeigt Einsicht und entschuldigt sich. Die Richter Ajla, Lena, Nora und Joris beenden die Verhand­lung mit einem zufrieden­stellenden Ergebnis.
 

„Die Schüler sind spontan in die Rollen geschlüpft und haben sich professionell ver­halten“, lobt Schott-Pfeifer. Auch die Schüler sind begeis­tert und betonen, wie viel Spaß sie hatten. „Ich bin froh, die Möglichkeit gehabt zu ha­ben, die Rolle einer Richterin zu übernehmen“, sagt Lena. Obwohl sie sich nicht kann­ten, ließen sie sich aufeinan­der ein und schufen eine gute Atmosphäre.
 

Großes Lob sprachen die Schüler den Projektleitern aus: „Wir wurden herzlich empfangen, konnten immer Fragen stellen, uns wurde stets auf Augenhöhe begeg­net.“ Am Vortag einen echten Strafprozess miterlebt zu ha­ben, half ihnen, ihre Rollen zu verkörpern. Zur Frage, wer erwägt, bei der Justiz tätig zu sein oder ein Praktikum zu absolvieren, erheben sich gleich mehrere Hände. „Ich könnte mir vorstellen, Staats­anwalt zu werden“, sagt Da­ris entschlossen.
 

Autorin: Selina Hönnige
Dieser Artikel ist am 18.05.2023 in der Offenbach-Post erschienen